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Jüdisches Leben

Viermal habe ich bereits Antwerpen besucht, jene Stadt, nur eine halbe Stunde von Brüssel entfernt, die von manchen als das „Jerusalem Europas“ bezeichnet wird. Rund 30.000 chassidische Juden leben hier, konzentriert im jüdischen Viertel rund um den Bahnhof und das historische Diamantenviertel.

Bei jedem Besuch zog es mich dorthin – in die engen Straßen, in denen sich religiöses Leben und jahrhundertealte Handwerkskunst begegnen. Ich stöberte im Buchladen, speiste im koscheren Restaurant Hoffy's, kaufte Gebäck bei Kleeblatt. Ich las über die Geschichte des Diamantenhandels, über jüdische Familien, die sich hier ansiedelten, das Schleifen und Handeln von Diamanten erlernten – ein Beruf, der sich ideal mit dem religiösen Alltag vereinbaren ließ: beten, lernen, arbeiten, alles in unmittelbarer Nähe.

Auch die dunklen Kapitel fehlen nicht: die Deportationen unter den Nationalsozialisten, die Zerstörung jüdischen Lebens. Und doch kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg einige Juden aus Israel zurück, um den Handel wieder aufzubauen – ein Zeichen von Resilienz und Verbundenheit.

Was mir bei meinen Besuchen auffiel: Trotz der einst florierenden Diamantenwirtschaft wirkt das Viertel heute erstaunlich ärmlich. Die Infrastruktur ist spärlich – ein paar Bäckereien, ein Hutladen, ein koscherer Supermarkt, religiöse Einrichtungen. Beim letzten Mal war sogar der Buchladen geschlossen. Das Viertel scheint zu verarmen. Der Diamantenhandel ist längst nach Indien abgewandert, wo die Arbeitskräfte günstiger sind.

Ich frage mich: Wie wird sich diese Gemeinschaft künftig finanzieren? Welche Berufe lassen sich mit einem streng orthodoxen Lebensstil vereinbaren? Werden die Schulen neben dem Torastudium auch praktische Ausbildungswege eröffnen? Und wenn die wirtschaftliche Grundlage vollends wegbricht – wird es zu einer Auswanderung nach Israel kommen? Wird das Diamantenviertel eines Tages ohne jüdisches Leben sein?

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